Die SPD im Kreis Groß-Gerau erinnerte am Samstag, den 23. März 2013, mit einer Matinee an die Rede von Otto Wels gegen das Ermächtigungsgesetz. Vor genau 80 Jahren sprach der damalige sozialdemokratische Partei- und Fraktionsvorsitzende Otto Wels die vorerst letzten freien Worte eines Demokraten in der Kroll-Oper. Er machte den Widerstand der SPD gegen die von Adolf Hitler eingeforderte Zustimmung des von den Nationalsozialisten eingebrachten Gesetzes deutlich, das dem an die Macht strebenden selbsternannten Führer weit reichende Befugnisse ermöglichen sollte. Die Anerkennung ob dieses urdemokratischen Verhaltens der damaligen Genossen war unter den rund 80 Gästen im Kelsterbacher Fritz-Treutel-Haus gegenwärtig. Die Rede von Otto Wels gilt als eine der denkwürdigsten, die je in einem deutschen Parlament gehalten wurden, fasste Gernot Grumbach, Vorsitzender des SPD-Bezirks Hessen-Süd, seine Haltung deutlich.
In seiner Begrüßung hielt Manfred Ockel, Ortsvereinsvorsitzender der SPD Kelsterbach, nicht mit seinem Stolz über die Historie der Sozialdemokraten zurück: Dieser Ort, hier in Kelsterbach, ist für diese Veranstaltung genau richtig. Er ging auf die Entwicklung des ehemaligen Bauerndorfes Kelsterbach hin zum Industriestandort vor den Toren Frankfurts ein. Die große Arbeiterschaft, die nicht sonderlich gut behandelt wurde, brachte es mit sich, dass bereits 1901 die SPD in Kelsterbach gegründet wurde, führte Ockel aus.
Thomas Will, Vorsitzender der SPD im Kreis Groß-Gerau, wandte seinen Blick auf die Historie der Partei in seinem Heimatort Bischofsheim. Bereits im Jahr 1896 hätten sich in der Gemeinde Menschen getroffen, um einen Arbeiterverein zu gründen, aus dem 1911 die SPD hervorging, so der SPD-Kreisvorsitzende.
Nach einer musikalischen Einlage mit zeitgenössischer Musik der 1920er/1930er Jahre von Michael Schumacher (Gitarre) und Pavel Mozgovoy (Klarinette), wurde die für die SPD so wichtige, aber nur in Teilen erhalten gebliebene Rede Otto Wels mit Untertiteln dem interessierten Publikum vorgeführt.
Bernd Faulenbach, Historiker der Ruhr-Universität Bochum und Vorsitzender der Historischen Kommission des SPD-Parteivorstandes, nahm die Vorführung bei seinem anschließenden Vortrag zum Anlass, eindringlich auf die Stimmung einzugehen, die im Moment der Rede von Otto Wels geherrscht hatte. Wohl um das Verhalten der Sozialdemokraten wissend, wurden ihre Abgeordneten auf dem Weg in die Kroll-Oper bedrängt, bei einer Zustimmungsverweigerung würden sie vor ein Tribunal gestellt, zeichnete Faulenbach das bedrückende Bild der damaligen Situation. Dennoch habe es sich Otto Wels nicht nehmen lassen, sich mit seiner Rede direkt an Adolf Hitler und gegen die Absichten der Nationalsozialisten zu wenden, obwohl er gesundheitlich angeschlagen gewesen sei. Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht diese denkwürdigen und noch heute für Sozialdemokraten gewichtigen Worte Otto Wels stellten für Bernd Faulenbach ein Dokument politisch und moralischer Selbstbestimmung am 23. März 1933, dem schwarzen Tag des deutschen Parlamentarismus dar. Es war nicht die Sozialdemokratie, die Deutschland ins Unglück geführt hat, im Gegenteil, sie hatte eindringlich davor gewarnt, so Faulenbach. Die Verabschiedung des Gesetzes schließlich sei auch ohne Zustimmung der Sozialdemokraten erfolgt. Es sei hier festzustellen, dass die Nationalsozialisten nur deshalb die Mehrheit für das Ermächtigungsgesetz erhielten hatten, weil, unter anderem, auch die Vertreter der Deutschen Zentrumspartei, der Bayrischen Volkspartei, der Deutschen Volkspartei sowie des Christlich-Sozialen Volksdienstes also Vertreter des vermeintlichen bürgerlichen Lagers für das Gesetz gestimmt hätten.
Nach dieser Selbstausschaltung des Parlaments sei die Rede Otto Wels somit auf Jahre die letzte große, freie Rede geblieben, eine Proklamation der Freiheit und der Menschlichkeit, ergänzte Bernd Faulenbach. Seinem Vortrag schloss sich ein Podiumsgespräch mit Gernot Grumbach zum Thema Wie gefährdet ist die Demokratie heute? an, bei der Faulenbach insbesondere die Schaffung einer Ebene forderte, die über den ökonomischen Interessen stehen solle. Daran könnten und müssten sich Sozialdemokraten aktiv beteiligen, sowohl in Deutschland, als auch in Europa.